Nordfriesland – Die Entwicklung: Die Geschichte der Nordfriesen
Im äußersten Nordwesten Deutschlands, auf Inseln und Halligen und dem Küstenstreifen zwischen den Flüssen Eider und Wiedau leben die Nordfriesen im gleichnamigem Kreis Nordfriesland. Sie bewohnen eine einzigartige, vor allem von der Nordsee geprägte Landschaft. Das dem Festland vorgelagerte Wattenmeer zählt zu den größten Wattgebieten der Erde und zeichnet sich durch seine Vielfalt mit Vorländern, amphibischen Wattflächen, Sänden, Wattströmen aus; es gehört seit 1985 zum Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.
Das Festland besteht aus der weiten bedeichten Marsch im Westen und der Geest im Osten, die auch Wälder und Reste der einstmals großen Moor- und Heideflächen aufweist.
Sturmfluten zwingen Nordfriesen zur Expansion
Die frühe nordfriesische Geschichte und damit der Geschichte von Nordfriesland liegt weithin im Dunkeln. In zwei Schüben wanderten Friesen aus ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet zwischen Zuidersee (heute Ijsselmeer) und Weser in das zunächst „Uthlande“ und „Klein-Friesland“, sodann „Nordfriesland“ genannte Küstengebiet ein, wie aus historischen, archäologischen und sprachwissenschaftlichen Befunden hervorgeht.
Im achten Jahrhundert dürften vor allem die Inseln Sylt, Föhr und Amrum sowie vermutlich auch das westliche Eiderstedt und Helgoland besiedelt worden sein, teilweise auch bereits die weiten Marschgebiete. Stärker wurde die Marsch aber erst um die Jahrtausendwende in einer zweiten Auswanderungswelle in Besitz genommen.
Auseinandersetzungen mit dem expandierenden Frankenreich, die Wirren der Wikingerzeit, vielleicht ein Ausweichen vor der Christianisierung werden als Gründe für die Wanderung nach Nordfriesland angenommen. Dieses Gebiet war den neuen Siedlern aufgrund ihres weitgespannten Handels im „Mare Frisicum“, wie die Nordsee damals genannt wurde, bereits bekannt.
Später erweiterten die Nordfriesen infolge von Sturmfluten ihr Gebiet auch nach Osten auf den Geestrand und die hohe Geest.
Seit 1946 ist Nordfriesland dem Land Schleswig-Holstein zugehörig
Staatsrechtlich unterstanden die Nordfriesen zunächst lange dem dänischen König. Im Mittelalter beteiligten sie sich an den mannigfaltigen Auseinandersetzungen um das Herzogtum Schleswig, wobei sie nur selten geschlossen auftraten. Bei der Landesteilung von 1544 kamen sie unter drei Landesherren.
Seit der Teilung 1581 gehörte Nordfriesland zum Gebiet des Gottorfer Herzogs; nur die Nordergoesharde um Bredstedt zählten zum Anteil des dänischen Königs, während die „reichsdänischen Enklaven“ Westerlandföhr, Amrum und List/Sylt Bestandteil Dänemarks waren (und es bis 1864 blieben). 1721 wurden die Verhältnisse vereinfacht: Die Gottorfer Anteile wurden mit den königlichen vereinigt.
Fortan gehörte Nordfriesland insgesamt zum dänischen Gesamtstaat. Landesherr war der dänische König in seiner Eigenschaft als Herzog von Schleswig. In der Folge des deutsch-dänischen Krieges von 1864 kam Nordfriesland insgesamt erstmals in seiner Geschichte zu einem deutschen Staatswesen. Es gehörte seit 1867 zur preußischen Provinz, seit 1946 zum Land Schleswig-Holstein.
Nordfriesland strebt nicht nach Unabhängigkeit
Eine politische Bezugsgröße ist Nordfriesland zu keinem Zeitpunkt gewesen. Ein nordfriesisches Staatsgebilde hat es nie gegeben und die Nordfriesen strebten es auch nicht an. Nur zweimal blitzte der Gedanke eines nordfriesischen Staates kurz in der politischen Auseinandersetzung auf: 1848 vertreten durch den nordfriesischen Revolutionär und Schriftsteller Harro Harring (1798 – 1870), 1919/20 durch den Bauernpolitiker Cornelius Petersen (1882 – 1935). Beide fanden mit ihrer irrealen Vorstellung aber keine Gegenliebe bei der Bevölkerung.
Die regionale Identifikation richtete sich durch die Jahrhunderte vor allem auf die eigene Harde (Verwaltungs- oder Gerichtsbezirk), Landschaft oder Insel, kaum einmal auf „Nordfriesland“ insgesamt. Die politischen Geschicke wurden bereits frühzeitig von außerhalb gelenkt, vor allem von Kopenhagen und Gottorf/Schleswig, später dann von Berlin, Bonn und Kiel aus.
Friesisches Recht erstmals 1462 schriftlich aufgezeichnet
Blieb auch das politische Feld im engeren Sinne weitgehend unbestellt, so konnten sich die Nordfriesen im „vorpolitischen“ Raum lange Zeit ein Eigenleben bewahren, vor allem im Bereich der Rechtsverfassung. Lediglich in den drei – nur im Westteil von Friesen bewohnten – Geestharden Karrharde, Norder- und Südergoesharde galt das dänische „Jydske Lov“, das jütische Gesetzbuch.
In den 13 Harden der Uthlande hingegen wurde friesisches Recht angewendet. Diese Harden der Uthlande waren: Sylt, Osterland-Föhr, Westerland-Föhr mit Amrum (seit 1411/35 reichsdänische Exklave), die Wiedingharde (zunächst Horsbüllharde), die Bökingharde, die fünf Harden Alt-Nordstrands, nämlich die Wirichs-, Pellworm-, Edoms-, Beltring- und Lundenbergharde, sowie die sogenannten Dreilande Utholm, Everschop und Eiderstedt.
Das jahrhundertelang mündlich überlieferte friesische Recht wurde erst 1426 erstmals schriftlich aufgezeichnet. Zu Konflikten mit dem Landesherrn führte vor allem die Frage der Abgabepflicht. Freiheit wurde vor allem verstanden als ein weitgehendes Befreitsein von Steuerzahlungen.
Technik des Deichbaus führt zu Wohlstand
Bestimmendes Element der friesischen Geschichte ist das Meer. Landgewinn und Landverlust waren entscheidender für die Entwicklung Nordfrieslands als kriegerische Schlachten.
Aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels begannen die Friesen etwa im 11. Jahrhundert mit dem Bau von Deichen. In ihrem Schutz konnte sich auf dem fruchtbaren Marschland eine blühende Landwirtschaft entwickeln. Einen Eindruck von dem Umfang dieses Bollwerks mag die heutige Gesamtlänge der in der Regel über acht Meter hohen Seedeiche in Nordfriesland vermitteln; sie beträgt auf dem Festland nicht weniger als 132, auf den Inseln zusätzlich 92 Kilometer.
Hinzu kommen noch die vielfach längeren Deiche, die inzwischen als Mittel- oder Schlafdeiche ins zweite, dritte oder vierte Glied gerückt sind. Kaum ein anderes von Menschenhand errichtetes Bauwerk in Europa kann sich nach Umfang und Arbeitsaufwand mit den Deichen der Nordseeküste messen. Die Technik des Deichbaus sowie andere Fertigkeiten, wie etwa die Gewinnung des „friesischen Salzes“ aus dem Torf im Untergrund der Watten, brachten Perioden großen Wohlstands. Solche Blütezeiten aber wurden mehrfach durch verheerende Sturmfluten beendet.
Die großen „Mandränken“ von 1362, als unter anderem der sagenumwobene Handelsort Rungholt zu bestehen aufhörte, und 1634, als mit der Insel Strand ein Kerngebiet Nordfrieslands zerstört wurde, ragen als die folgenschwersten Katastrophen hervor.
Know-how für den Deichbau aus den Niederlanden
Die Unterhaltung der Deiche befand sich jahrhundertelang weitgehend in bäuerlicher Hand und wurde erst in neuester Zeit gänzlich zu einer staatlichen Aufgabe. Dies galt zunächst auch für den Deichbau. Vor allem im 17. und 18. Jahrhundert ergriffen zunehmend die Landesfürsten Initiativen für Eindeichungen in großem Stil. Sie beauftragten damit häufig kapitalkräftige Interessenten und Deichbaumeister aus den Niederlanden, wie überhaupt die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte Nordfrieslands in vielfältiger Weise dank niederländischer Einflüsse mit geprägt worden ist.
Gestärkt werden Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein auch durch die sogar in absolutistischer Zeit bestehende Selbstverwaltung in den „Landschaften“, wie sie vor allem in Eiderstedt, aber in weniger ausgeprägter Form auch in manchen anderen Teilen Nordfrieslands bis in die preußische Zeit hinein galt.
Kreis Nordfriesland 1970 gebildet
Der nordfriesische Raum gehörte seit der preußischen Landkreisordnung von 1867, die an die Stelle der bis dahin verwirrend vielfältigen Verwaltungsformen trat, zu den Kreisen Tondern, Husum und Eiderstedt. Bei der Volksabstimmung 1920 wurde der – nicht von Friesen besiedelte – Nordteil des Kreises Tondern an Dänemark abgetreten: bei Deutschland verblieb der Kreis „Südtondern“.
Erst 1970 wurden mit der Bildung des Kreises Nordfriesland alle nordfriesischen Gebiete – mit Ausnahme der Insel Helgoland – in einer Gebietskörperschaft zusammengefasst.
Von den 151.000 Einwohnern des Kreises (Stand:1989) wird sich herkunftsmäßig aber schätzungsweise nur ein gutes Drittel als Friesen bezeichnen.
Denn zum einen greift das Kreisgebiet im Osten über den ursprünglichen friesischen Siedlungsbereich hinaus und zum anderen hat es in der Geschichte immer wieder stärkere Zuwanderungen gegeben, so in besonders großem Ausmaß durch Flüchtlinge und Vertriebene in der Folge des Zweiten Weltkrieges.
Große Wattflächen – wenig Menschen
Der Kreis Nordfriesland umfasst 2.048 Quadratkilometer. Mit 73 Einwohnern je Quadratkilometer (Schleswig-Holstein: 163) weist er von allen Landkreisen Schleswig-Holsteins bei Weitem die geringste Bevölkerungsdichte auf und gehört zu den am dünnsten besiedelten Gebieten Deutschlands.
Die nordfriesischen Wattflächen, die größtenteils in früheren Jahrhunderten bewohnt waren, haben eine Größe von rund 1.600 Quadratkilometern. Im Kreisgebiet bestehen 16 Ämter mit 125 Gemeinden sowie vier amtsfreie Gemeinden. Hinzu kommen acht Städte (Einwohnerzahlen nach dem Stand vom 30. 09. 1989): Husum als Kreisstadt (20.651 Einwohner), Westerland/Sylt (9.395), Niebüll (6.667), Tönning (4.802), Bredstedt (4.593), Wyk/Föhr (4.436), Friedrichstadt (3.044) und Garding (2.221); größere amtsfreie Gemeinden sind Leck (7.020 Einwohner) und Sankt Peter-Ording (3.636).
Erst spät erhielten Ortschaften in Nordfriesland Stadtrechte, als erste Garding und Tönning im Jahre 1590, dann Husum 1603 und als Neugründung Friedrichstadt im Jahre 1621. Im 20. Jahrhundert erst folgten Bredstedt (1900), Westerland (1905), Wyk (1910) und Niebüll (1960).
Politisch Verfolgte finden auf Helgoland Asyl
Auf der in der Deutschen Bucht gelegenen Felseninsel Helgoland, die ebenfalls zum nordfriesischen Sprach- und Kulturraum gehört, leben 1.800 Menschen auf 1,6 Quadratkilometern.
Die Insel wurde zwischen dem siebten und neunten Jahrhundert von Friesen von der südlichen Nordseeküste besiedelt. Lange Zeit bot sie auch einen Schlupfwinkel für die insbesondere auf den Hansehandel ausgerichtete Piraterie. Die Existenzgrundlage der Insulaner bildete von jeher das Meer mit Fischfang, Bergung von Strandgut und Lotsenfahrt.
Seit der Gründung des Seebades 1826 gewann der Fremdenverkehr immer mehr an Bedeutung. Bis 1807 gehörte Helgoland nach vielfach wechselndem Schicksal zum dänischen Reich, wurde zur Zeit der Kontinentalsperre von britischen Truppen besetzt und bot in englischer Zeit manchem politisch Verfolgten aus Deutschland Asyl. Hoffmann von Fallersleben dichtete hier 1841 das „Lied der Deutschen“.
Mit dem deutsch-britischen Tauschvertrag von 1890 erwarb das Deutsche Reich die Insel. Verwaltungsmäßig war sie bis 1922 dem Kreis Süderdithmarschen angegliedert, bildete dann einen selbständigen Kreis und wurde 1932 dem Landkreis Pinneberg zugeordnet.
Land- und Fischereiwirtschaft verliert in Nordfriesland an Bedeutung
Durch die Jahrhunderte war Nordfriesland, insbesondere in seinen weiten Marschgebieten, vor allem Bauernland. Ackerbau und Viehzucht bildeten bis an die Schwelle der Gegenwart die bei Weitem wichtigste Wirtschaftsform.
Dem Strukturwandel der vergangenen Jahre und Jahrzehnte kommt für Nordfriesland deshalb eine geradezu epochale Bedeutung zu. In der Gegenwart arbeiten nur noch 9,5 Prozent aller Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei; gemeinsam mit Dithmarschen liegt der Anteil aber immer noch an der Spitze der Landkreise Schleswig-Holsteins (Landesdurchschnitt: 4,9 Prozent; Angaben für 1987).
Beeindruckend sind auch nach wie vor diese Zahlen: Vier Fünftel der Gesamtfläche Nordfrieslands werden landwirtschaftlich genutzt; in insgesamt 4.279 Betrieben werden nicht weniger als 261.000 Rinder, 195.000 Schweine, 85.000 Schafe und 3.700 Pferde gehalten; im Jahr 1987 wurden 392.000 Tonnen Getreide geerntet.
Walfang und Robbenschlag bringen Nordfriesland Wohlstand
Neben der Landwirtschaft war, insbesondere für die Inselfriesen, die Seefahrt zeitweise die wichtigste Erwerbsquelle. Vor allem im 17. Und 18. Jahrhundert fuhr fast die gesamte männliche Bevölkerung der Inseln Amrum, Föhr und Sylt sowie der Halligen zur See und brachte es vor allem dank der Grönlandfahrt mit Walfang und Robbenschlag teilweise zu beachtlichem Wohlstand.
Die Seefahrt verlieh manchem Inselfriesen einen Zug der Weltläufigkeit, der die Aufnahme nationalen Gedankenguts später keineswegs förderte. Verstärkt wurde diese Haltung noch durch die nach dem Niedergang der Grönlandfahrt im 19. Jahrhundert einsetzende Auswanderung nach Übersee, die nach der Einverleibung durch Preußen 1867 einen Höhepunkt erreichte und vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Not und politischer Wirren eine Alternative blieb.
Auf Föhr und Amrum gibt es noch heute kaum eine Familie, die nicht Verwandte in Amerika hätte
Fremdenverkehr überholt Landwirtschaft
Seit der Gründung des Seebades Wyk im Jahre 1819 entwickelte sich der Fremdenverkehr auf den Inseln,zu einer neuen, wichtigen Erwerbsquelle. Das einst unbedeutende Inseldorf Westerland hatte sich schon um die Wende zum 20. Jahrhundert in einen mondänen Badeort von internationalem Ruf verwandelt.
Mit der Gründung des Nordseebades Sankt Peter-Ording 1877 hielt der Fremdenverkehr seinen Einzug auch auf dem nordfriesischen Festland. Insgesamt überflügelte er inzwischen die Landwirtschaft an Bedeutung. Jedes Jahr werden in Nordfriesland rund eine Million Gäste und knapp zehn Millionen Übernachtungen gezählt.
Dienstleistungsbereich überdurchschnittlich vertreten
Nordfriesland gehört zu den strukturschwachen Regionen der Bundesrepublik Deutschland. Besonders niedrig ist der Grad der Industrialisierung; auf 1.000 Einwohner waren 1989 nur 21 Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe (Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten) tätig; die Vergleichswerte lagen für Schleswig-Holstein bei 66, für die Bundesrepublik bei 116.
An der Bruttowertschöpfung ist der Dienstleistungsbereich mit 72 Prozent weit überdurchschnittlich vertreten; Nordfriesland liegt damit an der Spitze aller Kreise Schleswig-Holsteins, was vor allem die Bedeutung des Fremdenverkehrs zeigt.
Firmen erkennen „weiche Standortvorteile“
Die Lage Nordfrieslands fernab der deutschen und europäischen Zentren erschwert die Ansiedlung größerer Betriebe. Die Autobahn nach Hamburg zum Beispiel beginnt erst weit außerhalb der Tore Nordfrieslands. Andererseits entdecken neuerdings manche Betriebe die „weichen Standortvorteile“ dieser Landschaft, so den „Freizeitwert“ der Nordseeküste mit Inseln und Halligen oder auch die kulturelle Vielfalt.
Die zunehmende Nutzung der Windenergie sowie das Bemühen, das Problem der Marktferne mithilfe der elektronischen Datenverarbeitung abzumildern, können Wege in die Zukunft weisen. Dies erscheint etwa angesichts des Abbaus von Bundeswehrstandorten und der Dauerkrise in der Landwirtschaft dringend geboten.
Junge Einheimische gehen – Auswärtige kommen
Auch in der Gegenwart verlassen viele junge Nordfriesen ihre Heimat, weil sie hier weder die gewünschte qualifizierte Ausbildung noch anschließend einen attraktiven Arbeitsplatz erhalten können. Andererseits richten sich zahlreiche Auswärtige ihren Zweit- oder Alterswohnsitz in Nordfriesland ein. Diese konträre Entwicklung hat sich vielerorts äußerst nachteilig auf das dörfliche Gemeinschaftsleben ausgewirkt – und beeinflusst natürlich auch die Bemühungen um die friesische Sprache und Kultur negativ.
Haubarge – Trachten – Biikebrennen: Traditionen in Nordfriesland
Wie Nordfrieslands Landschaft und die friesische Geschichte, so sind auch Kultur und traditionelles „Volksleben“ der Nordfriesen von einer erstaunlichen Vielfalt geprägt. Dies spiegelt sich auch in zahlreichen Museen, insbesondere im Nissenhaus in Husum wider. Ohnehin kann Mannigfaltigkeit viel eher als Einheitlichkeit als „typisch friesisch“ angesehen werden.
Das gilt zum Beispiel für das traditionelle Bauen und Wohnen. In Nordfriesland findet sich die reichste Hauslandschaft Schleswig-Holsteins. Hier sind seit Jahrhunderten friesische, dänisch-jütische und niederdeutsch-sächsische Einflüsse wirksam geworden.
Hinzu kommen noch Importe aus den Niederlanden, zum Beispiel die Wandfliesen in zahlreichen Seefahrer- und Bauernhäusern oder auch die aus den Niederlanden und Ostfriesland stammende Grundform der Eiderstedter Haubarge. Überlieferte friesische Trachten sind heute vor allem auf der Insel Föhr in ungebrochener Kontinuität stark verwurzelt.
In anderen Teilen Nordfrieslands werden zum Beispiel in Vergessenheit geratene Trachten wieder belebt oder neue nach alten Vorbildern gefertigt. Das nordfriesische „Nationalfest“, das jährliche Biikebrennen, hat sich in jüngster Zeit ebenfalls stark ausgeweitet. In kleinerem Rahmen gilt dies auch für andere Gebräuche und Volksspiele.
Viele bekannte Maler mit Nordfriesland verwurzelt
In der Kunst hat Nordfriesland vor allem bedeutende Maler hervorgebracht. Genannt seien nur Hans Peter Feddersen (1884 – 1941) aus Schnatebüll, zu dessen Hauptthema die nordfriesische Landschaft wurde, Christian Albrecht Jensen (1792 – 1870) aus Bredstedt, führender Porträtist im „Goldalter“ der dänischen Malerei, Carl Ludwig Jessen (1833 – 1917) aus Deezbüll, der als „Friesenmaler“ bekannt wurde, Oluf Braren (1787 – 1839), der als schlichter Schulmeister auf Föhr Bilder von hohem künstlerischen wie von dokumentarischem Wert schuf, Christian Carl Magnussen (1821 – 1896) aus Bredstedt, der sich vor allem mit Porträts und Volkslebenmalerei aus Nordfriesland und Italien einen Namen machte; auch Emil Nolde (1867 – 1956) hat enge Verbindung zu Nordfriesland. Große Komponisten dagegen sucht man vergeblich, was manche das lateinische Wort „Frisia non cantat“ zitieren lässt. Auch friesischsprachige Lieder sind verhältnismäßig klein an Zahl.
Bekannte Nordfriesen: Von Storm bis Mommsen
In der – deutschsprachigen – Literatur ragt der Husumer Theodor Storm (1817 – 1888) hervor, dessen Spätwerk „Der Schimmelreiter“ um den Deichgraf Hauke Haien gern als nordfriesisches „Nationalepos“ bezeichnet wird.
Bekannte Nordfriesen aus der Wissenschaft sind vor allem der Historiker und Nobelpreisträger Theodor Mommsen (1817 – 1903) aus Garding, der Pädagoge und Philosoph Friedrich Paulsen (1846 – 1908) aus Langenhorn und der Soziologe Ferdinand Tönnies (1855 – 1936) aus Oldenswort.
Zu den „Stillen“ im Lande gehörte der Landmann, Mechaniker und Mathematiker Hans Momsen (1735 – 1811) aus Fahretoft, der es als Autodidakt zu genialischen Leistungen brachte; der Kreis Nordfriesland hat seinen 1985 gestifteten Ehrenpreis nach ihm benannt. Als politische Schriftsteller traten Uwe Jens Lornsen (1793 – 1838) aus Keitum/Sylt und Harro Harring (1798 – 1870) aus Wobbenbüll bei Husum hervor.
Aus dem kirchlich religiösen Bereich seien Christian Jensen (1839 – 1900) aus Fahretoft, Begründer der Breklumer Mission, und Ingwer Ludwig Nommensen (1834 – 1918) von der Insel Nordstrand, Missionar der Batak in Indonesien, genannt.
Eiderstedts Landschaft dient als Vorbild für Wappen
Als nordfriesische Flagge gilt seit Anfang dieses Jahrhunderts die Farbenfolge Gold – Rot – Blau. Das „Nordfriesen-Wappen“, eine unheraldische Schöpfung aus den 1840er-Jahren, zeigt – ebenfalls auf den Farben Gold, Rot und Blau – einen halben Reichsadler, – der sich auf angeblich von deutschen Kaisern verbürgte Freiheiten für die Friesen bezieht -, eine Krone – nämlich die des dänischen Königs, des damaligen Landesherren – und einen Grütztopf – friesische Frauen sollen Gegner, man dachte damals wohl an die Dänen, mit heißer Grütze in die Flucht geschlagen haben, als die Kampfkraft ihrer Männer erlahmte.
Das offizielle Wappen des Kreises Nordfriesland ist ebenfalls in den nordfriesischen Farben gehalten; es wird heraldisch wie folgt beschrieben: „In blau drei goldene, dreimastige Schiffe im Stil des 16. Jahrhunderts, in der Stellung 2:1 mit goldenen Segeln und roten Wimpeln; auf den Großsegeln je ein rotes Beizeichen (Pflug, Fisch, Stierkopf).“ Vorbild war das Wappen der Landschaft Eiderstedt; die Beizeichen entstammen den Wappen der drei alten nordfriesischen Kreise und symbolisieren die traditionellen Lebensgrundlagen der Nordfriesen. Wappen und Flagge Helgolands tragen die Farben der Insel, Grün – Rot – Weiß.
Weites Herz – klarer Horizont
Als inoffizielle nordfriesische „Nationalhymne“ wird das Lied „Gölj – rüüdj – ween“ (Gold – Rot – Blau) von Albrecht Johannsen (1888 – 1967) gesungen. Bekannte nordfriesische Wahlsprüche sind „Rüm hart – klaar kiming“ (Weites Herz – klarer Horizont), in dem sich die Weltläufigkeit der inselfriesischen Kapitäne spiegelt, und das im 19. Jahrhundert geprägte politische Schlagwort „Liiwer düüdj as slååw“ (Lieber tot als Sklave), das den sprichwörtlichen Unabhängigkeitssinn der Friesen pointiert.
Aus: Prof. Dr. Thomas Steensen, geb. 1951 in Bredstedt, Direktor des Nordfriisk Instituut in Bredstedt: Die Friesen in Schleswig-Holstein, in: Gegenwartsfragen 69. Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzbereich. Herausgegeben von der Landeszentrale für Politische Bildung Schleswig-Holstein.
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