Graf Bernadotte und die weißen Busse – eine lebensgefährliche Rettungsmission

Der Zweite Weltkrieg schien eigentlich verloren. Doch damit wuchs die Sorge der Skandinavier, dass ihre verschleppten und inhaftierten Landsleute Opfer von Massenerschießungen oder Sprengung der KZ-Lager würden. Überall in Deutschland waren die verteilt, die Polizisten, Widerstandskämpfer, Juden- aus Dänemark und Norwegen.

Die norwegische Regierung wirkte im Exil in Stockholm. So war es auch deren Repräsentant, Niels Christian Ditleff, der aus der beschriebenen Sorge heraus mit dem schwedischen Außenministerium eine Rettungsaktion unter der Führung des Roten Kreuzes anregte. Das war im November 1944.

Die Regierung beauftragte Graf Folke Bernadotte als Vizepräsident des Roten Kreuzes, die Verhandlungen mit den Deutschen zu führen. Bernadotte flog im Februar 1945 nach Berlin. Im Gepäck ein dickes Runenbuch aus dem 17. Jahrhundert als Gastgeschenk für seinen Gesprächspartner, dem Reichsführer der SS, Heimrich Himmler.

Denn Himmler wollte entgegen den Vorstellungen Hitlers einen separaten Frieden mit den Westmächten aushandeln, da kam ihm der Vizepräsident des Roten Kreuzes gerade recht. Denn die Hoffung Himmlers war, dass Bernadotte seine Kontakte nach England nutzte im Ansinnen Himmlers.

Erste Verhandlungserfolge

Zum ersten Mal trafen Himmler und Bernadotte in den Heilstädten Hohenleychen in der Uckermark aufeinander und dieses Treffen verlief positiver als erwartet. Himmler erwartete absolute Geheimhaltung und sagte zu, dass alle betroffenen Gefangenen in das Lager Neuengamme bei Hamburg verlegt und dort gesammelt würden, das schwedische Rote Kreuz aber Fahrzeuge, Fahrer und Benzin stellen müsse.

Ganze zwei Wochen benötigte Bernadotte, zurück in Stockholm, die Rettungsaktion zu organisieren. Er flog gleich ein zweites Mal nach Berlin. Dieses Mal traf er den Leiter des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner und den Geheimdienstchef Walter Schellenberg. Denn Bernadotte wollte mehr. Und so schaffte er es, dass auch die skandinavischen Juden ins Sammellage Neuengamme kamen und so vor der sicheren Vernichtung bewahrt blieben.

Die Aktion startet

Deutschland war  in seiner Infrastruktur zerstört und täglichen Angriffen ausgesetzt. So war es gewissermaßen ein Himmelfahrtskommando für die etwa 250 freiwilligen Helfer, die sich mit 350.000 Liter Kraftstoff, 36 Bussen und 39 Lastwagen im südschwedischen Hässleholm trafen. Nun hatte das schwedische Rote Kreuz nicht genug Fahrzeuge, so sorgte das schwedische Militär mit weiteren Fahrzeugen  für diesen Konvoi.

Es war eine Reise ins Unbekannte. Niemand hatte bisher Kriegserlebnisse und so gab es Vorträge, Fahrübungen oder Benimmregeln, um das Kommando nicht zu gefährden. Im Gepäck waren Zelte, Lebensmittel, Feldküchen. Einige der Busse wurden mit über einander hängenden Liegen ausgestattet, um Kranke und Verletzte aufnehmen zu können. Eiligst wurden alle Fahrzeuge weiß gestrichen und mit dem Roten Kreuz versehen.

Zum ersten Mal trafen die Helfer auf die SS-Schergen mit gezogenen Waffen, dann wartete das völlig zerstörte Norddeustchland mit den zerbombten Straßen. Die Routen waren mit den Allierten abgestimmt, und doch wurden Fahrzeuge bei Tieffliegerangriffen zerstört und Helfer getötet.

Großes Misstrauen der Gefangenen

So recht wollte sich in den Lagern niemand über die weißen Busse freuen, denn die Menschen hatten so viel schreckliches durchgemacht, dass sie an ein verlogenes Spiel der Deutschen glaubten. Im KZ Dachau standen die Gefangenen bereits mehrere Stunden, als die Helfe ankamen, glaubten sie ihnen nicht.

Im KZ Theresienstadt weigerten sich die 423 dänischen Juden, in die Fahrzeuge einzusteigen. Denn sie glaubten an die Fahrt in den sicheren Tod- in die Vernichtungslager.

Endlich bekamen die Geretteten und völlig abgemagerten Menschen wieder etwas zu esssen, was natürlich sehr riskant ist. Denn die Körper reagieren dann schnell mit Durchfall. Das verzögerte die Fahrt insgesamt. Aber wem kann man es verdenken. Den Bewachern, die diese Fahrten begleiteten und sich selbstgefällig ebenso an diesem Speisen bedienten, versetzte man ihr Essen mit Abführmittel.

Chaos und bittere Folgen für andere Gefangene

Bis Ende März 1945 war etwa jeder zweite inhaftierte Skandinavier in Neuengamm angekommen. Das Lager platzte aus allen Nähten. Platz für noch einmal so viele Menschen musste geschaffen werden, egal wie.  und für das, was jetzt passierte, sollte man nicht das schwedische Rote Kreuz verantwortlich machen sondern einzig die Verursacher, die menschenverachtenden Nazis.

Denn mit den weißen Bussen wurden nun Menschen aus Russland, Polen und Frankreich transportiert: vom KZ Neuengamme in dessen Außenlager Hannover und Salzgitter. Sie waren in erbärmlichem Zustand, abgemagert bis auf die Knochen und in der letzten Phase vor dem sicheren Hungertod. Aufgrund ihres Aussehens wurden sie innerhalb der Konzentrationslager von den Nazis verächtlich „Muselmänner“ genannt.

Den Skandinaviern ging es vergleichweise gut, sofern man das Wort „gut“ an dieser Stelle überhaupt verwenden darf. Sie wurden nicht ganz so schlecht versorgt, entsprachen sie doch dem Vorbild einer germanischen Rasse.

Diese Muselmänner, fast unfähig, überhaupt noch zu leben, waren der brutalen Willkür der Wärter ausgesetzt. Noch im Beisein der schwedischen Helfer wurden sie geschlagen. Die Fahrt in die Außenlager überlebten alleine sieben dieser Menschen nicht.

In der Aufarbeitung dieses Teils der Geschichte entbrannten in Schweden 60 Jahre nach der Rettungsaktion emotionale Debatten. Denn das Rote Kreuz ist zu absoluter Neutralität verpflichtet, in diesem Fall hat es Partei für einen Teil der Gesellschaft, nämlich ausschließlich der skandinavischen Gefangenen, genommen und diese bevorzugt. Dabei hätten laut den Genfer Konventionen die in schlimmeren Zustand befindliche Gefangenen unabhängig ihrer Herkunft vom Roten Kreuz versorgt werden müssen.

Dabei kann man sich aus dem Abstand nur schwer in die Rolle der Helfer hinein versetzen, die freiwillig in ein gefährliches Kriegsgebiet fuhren und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen. Zumal in den letzten Kriegswochen das totale Chaos herrschte.

Von den in die Außenlager verbrachten 2000 Menschen werden nur wenige das Kriegsende erlebt haben.

Letzte Etappe

Graf Bernadotte besuchte mit einer Delegation des schwedischen Roten Kreuzes am 30. März 1945. Die dänischen und norwegischen Gefangenen  aus der geräumten Baracke stimmten dem Grafen zur Ehre die schwedische Nationalhymne an . Drei Tage später traf sich Bernadotte mit Himmler, der immer noch ganz euphorisch von einem Friedensschluß mit den Westmächten ausging und Bernadotte eindringlich um Unterstützung bat. Doch Bernadotte waren nur die Gefangenen wichtig, so erreichte er, dass alle dänischen Polizisten zurück nach Dänemark durften und alle weiblichen und kranken Menschen ins neutrale Schweden.

Und das war ein weit gefasster Begriff. Denn krank waren eigentlich alle Insassen, wenn auch nicht dem Tod geweiht wie die zuvor beschriebenen.

War der Rettungseinsatz nun deutlich über die vier Wochen hinausgegangen, für den sich auch die Helfer verpflichtet haben, befand ein großer Teil sich aber nun auf dem Rückweg. Zum anderen hatten viele Lagerinsassen ansteckende Krankheiten und Parasiten, sodass man sie nich einfach nach Hause entlassen konnte. Das wäre verheerend für Dänemark gewesen. So entstand im dänischen Padborg eine Quarantänestation. Man brauchte nun neue Helfer und Transportmittel für den letzten Weg. Eiligst wurde jeder greifbare dänische Bus weiß angemalt, beklebt und los ging es nach Neuengamme bei Hamburg. In den letzten Kriegswochen interessierte es nun nicht mehr, ob die Helfer neutrale Schweden oder Menschen aus dem besetzten Dänemark wären. Der erste Krankentransport startete am 09. April.

Himmler wollte bestmöglich bei den Alliierten dastehen, denn ihm war die bevorstehende Kapitulation scheinbar bewusst. So ordnete sein Hauptquartier zehn Tage später an, dass das Lager Neuengamme  bis zum 21. April geräumt sein müsse. Über Nacht wurden noch einmal 124 Busse in Dänemark zusammengebracht, weiß bemalt und in einem Konvoi nach Neuengamme geschickt. Denn es blieb nur ein Tag, an dem 4.200 Gefangene in die Freiheit gebracht werden konnten. Man denke nur an zerbombte Straßen und völlig zerstörter Infrastruktur.

Die letzten Befreiten verließen das Lager 30 Minuten vor Ende der Frist.

Noch kein Ende

Graf Bernadotte hatte eigentlich alles erreicht, was ihm aufgetragen war. Doch unermüdlich wollte er so viele Seelen wie nur möglich retten. Und so erreichte er in der nächsten Verhandlung, alle Gefangenen des KZ Ravensbrück im Brandenburger Land nach Schweden zu holen.  Die Zeit war knapp, denn die Rote Armee stand vor den Toren Berlins. So brach noch einmal ein Konvoi in diese gefährliche Region auf, dieses Mal unterstützt von einem Güterzug, der auf wundersame Weise nicht angegriffen wurde. Denn 7000 Frauen aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Polen und Tschechien konnten so gerettet werden. Von ihnen gehörten 1607 Frauen dem Judentum an. Sie wurden kurz vor der bitteren Versenkung der Cap Arcona mit selbigen Schiff gerettet und kamen dann weiter mit den weißen Bussen nach Schweden.

In Dänemark und Schweden wurden diese Menschen euphorisch empfangen, ein Teil konnte sich im Sanatorium von Ramlösa in Helsingborg erholen. Einigen wurde Schweden zur neuen Heimat.

Graf Bernadotte

Graf Bernadotte wurde nicht müde, sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg für die Menschen zu engagieren. So versuchte er, im Auftrag der Vereinten Nationen im Palästinakonflikt zu vermitteln. Doch zusammen mit einem französischen UN-Beobachter  wurde er am 17. September 1948 Opfer eines tödlichen Terroraktes der jüdischen Terrorgruppe „Lehi“.

Dänemark hat Graf Bernadotte zur Ehre und als Dank ein Denkmal im dänischen Grenzort Krusau gewidmet.

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