Astrofotografie von Katja Seidel / Rheinwerk-Verlag – Rezension

Astrofotografie erfreut sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit. Gab es früher Fotografierende, die sich auf dieses Thema spezialisiert und mit umfangreichen Wissen geglänzt haben, hat dieses Genre heute die Masse erreicht. Folgerichtig gibt es eine umfangreiche Anleitung zu diesem Thema, um das Bestmögliche aus seinem (geplanten) Vorhaben herauszuholen. Katja Seidel gehört seit Jahren zu den Profis der Nachtfotografie und hat aktuell nunmehr in dritter Auflage den Bestseller „Astrofotografie“ im renommierten Rheinwerk-Verlag herausgegeben. Wir haben uns dieses Fotohandbuch angeschaut.

Zunächst habe ich mich vom Titelfoto leiten lassen und unbewusst geglaubt, dass es sich um die Fotografie von Polarlichtern handelt. Schnell wurde mir klar, dass „Astrofotografie“ von Katja Seidel viel umfangreicher ist. Neben den Polarlichtern wird die gesamt Palette der Nachtfotografie beleuchtet. Also von der Blauen Stunde, der Sterne- und Mondfotografie. Dazu gehört neben der Beschreibung der Ausrüstung von der Planung bis zur Nachbearbeitung vor allem auch das Fachwissen um den Himmelskörper. Denn wie will man etwas fotografieren, was man nicht versteht.

Im Frühjahr waren Polarlichter bis an die Flensburger Förde zu sehen. Fast in Echtzeit wird das Internet mit schnellgemachten Bildern solcher Aufnahmesituationen geflutet. Doch wirklich gute und berührende Aufnahmen wird man kaum finden. Selbst Nordland-Reisende mit etwas mehr Muße zur Nachbearbeitung liefern oft Bilder, die das Motiv auf Tageslichtniveau angehoben und die Schärfe bis zum Anschlag ausgereizt haben. 

Und erzähle man mir nicht, dass die Situation vor Ort realistisch wiedergegeben wurde. Oft habe ich selbst Polarlichter (auch ohne Kamera) genossen und die Blaue Stunde fotografiert. Gute Bilder brauchen auch heute noch fundierte Kenntnisse und idealerweise einen Profi, der dieses Wissen vermittelt. Genau deswegen habe ich mich sehr auf „Astrofotografie“ von Katja Seidel / Rheinwerk Verlag gefreut.

Um es vorweg zu nehmen- wie bei Veröffentlichungen des Rheinwerkverlages ist auch „Astrofotografie“ von Katja Seidel ein hervorragendes Handbuch. Wenngleich es aus meiner Sicht auch ein paar Schönheitsfehler hat. 

  • Grundsätzlich vermisse ich eine Abhandlung zur wichtigsten Ausrüstung. Das betrifft die Bekleidung. Von den Schuhen über das Zwiebelprinzip bis zur Sturmhaube und zu geeigneten Handschuhen. Wer sich einmal mit der Bergwacht in Norwegen unterhalten hat, weiß um die mit schlechter Ausrüstung aus Not geretteten Menschen. Astrofotografie ist Outdoor ohne Bewegung bei zum Teil erbärmlichen Minustemperaturen auch deutlich jenseits von minus 10 Grad.
  • Eines der wesentlichen Zubehöre für die Astrofotografie ist aus meiner Sicht unzureichend beschrieben. Holzstative wie z.B. von Berlebach.de mit ihrer angenehmen Haptik bei Tiefsttemperaturen, ihrer Schwingungsarmut und Windstabilität finden gar keine Erwähnung. 
  • Objektive werden in ausführlichen Texten empfohlen, um im Nachgang zu beschreiben, dass sie von Katja Seidel selbst nicht mehr eingesetzt werden oder gravierende Bildfehler aufweisen. Allein scheint Preis vor Qualität zu gehen. Zumindest sollten wir bei unseren Einkäufen auch die Arbeitssituation vor Ort berücksichtigen, die billige Preise erst möglich macht.
  • Manche Erklärungen hätte man kürzer fassen können. So wird mühsam beschrieben, wie man die Unendlichkeitsstellung bei Autofokus-Objektiven im manuellen Bereich fixieren kann. Rein manuell fokussierende Objektive, bei denen man blind auf unendlich stellen kann und sich damit eine umständliche Prozedur auf dem Display erspart, (z.B. von Leica, Voigtländer, Zeiss) werden gar nicht genannt. 
  • Beschrieben wird auch nicht, wie man bei eisigen Temperaturen Kamera und Objektiv von einem warmen in den kalten Bereich führt und wieder zurück. Oder einen Objektivwechsel unter kalten Bedingungen. Vereiste oder beschlagene Technik kann ein ganzes Vorhaben zerstören.
  • In meinen Augen sehr lasch werden diverse Apps aufgeführt. Zum Leidwesen der IT-Sicherheit. Leider braucht es für Apps keinen Beipackzettel wie bei Medikamenten. Aber jede App macht ein Gerät ein Stück anfälliger für unbefugte und alles andere als harmlose Zugriffe. 

Nichts desto Trotz wird in „Astrofotografie“ von Katja Seidel  anschaulich vermittelt, dass Nachtfotografie ein sehr komplexes Thema ist. Von der Kamera bis zur passenden App oder dem entsprechenden Bildbearbeitungsprogramm. Digitale Planung und Nachbearbeitung nimmt einen großen Bereich ein. Ebenso findet man alle Koordinaten ihrer Bilder. Letzteres bedaure ich allerdings. Denn „Astrofotografie“ von Rheinwerk würde seinem Inhalt nicht gerecht, wenn man die gezeigten Bilder nachbaut. Vielmehr lädt es ein, auf eigenständige Entdeckungsreise zu gehen, seine eigene Herangehensweise zu filtern und seine eigenen Motive zu finden.

Wer sich mit Astrofotografie beschäftigen will, sollte sich zuerst dieses Handbuch zulegen. Um dann zu entscheiden, ob er der Nachtfotografie persönlich gewachsen bzw. zu dem damit verbundenen Aufwand an Zeit und Logistik bereit ist. Erst dann sollte er seine Ausrüstung anpassen. Und sich dazu ganz eigene Gedanken machen.

Wer sich bereits mit Astrofotografie beschäftigt, dem sei dieses Handbuch empfohlen, um vielleicht seine Ausrüstung zu reduzieren und seine Arbeitsschritte zu vereinfachen. Und vielleicht seine eigene Arbeitsweise zu professionalisieren. 

Astrofotografie von Katja Seidel wird in unserem Schrank bleiben und eines der Nachschlagewerke unserer weiteren Wintertouren im hohen Norden werden. Dass ich dabei wunderbare Bilder meiner Herzensheimat Tromsø entdeckt habe, bindet mich natürlich umso mehr an dieses Buch.

Astrofotografie
Spektakuläre Bilder ohne Spezialausrüstung

  • 424 Seiten
  • 3., aktualisierte und erweiterte Auflage 2023
  • gebunden, in Farbe
    Rheinwerk Fotografie
  • ISBN 978-3-8362-8943-6
  • EUR 39,90
Mehr Informationen zum Buch unter Astrofotografie
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