Geiranger am Geirangerfjord

Es gibt einige Orte in Norwegen, die muss man gesehen haben. Muss man wirklich? Zumindest sind in Geiranger davon jährlich über 200.000 Menschen überzeugt. Und am liebsten würden wir der Welt sagen, dass es sich nicht lohnt, hier her zu kommen. Aber wir würden lügen.

An der Gabelung der Straßen RV 15 zur Fv 63 haben wir auf einem verschneiten Parkplatz übernachtet. Wir sind in der zweiten Maihälfte hier, die Reste des Winters sind noch präsent. Gleich werden wir über eine der schönsten Landschaftsrouten in Norwegen, der Touristenstraße Geiranger in das kleine 270 Seelen-Dorf Geiranger am Geirangerfjord fahren. Geiranger gehört zur Gemeinde Sande und liegt in der Provinz Møre og Romsdal in der Region Vestlandet.

Hier oben im Gebirge ist der Schnee schwer geworden. Unser Hund sinkt tief ein und kommt beim Wandern nur mühsam voran. Von den steilen, wenn auch niedrigen, Berghängen halten wir uns fern. Mit guten Grund, denn gleich werden wir einen kleinen Lawinenabgang erleben. Wir frühstücken auf dem kleinen Rastplatz in der Sonne, viel Betrieb ist hier nicht. Wer schon Sommerreifen aufgezogen hat, wird sich kaum auf diesen Rastplatz wagen. Neugierig sind wir auf die Landschaftsroute Geiranger, die uns zum gleichnamigen Ort an den Geirangerfjord führen wird.

Recht schnell sind wir dankbar über unsere Fahrtrichtung, denn entgegengesetzt schützt keine Leitplanke vor dem nahen Abgrund in das tiefer gelegene Langvatnet. Leitplanken wären hier sinnlos, im nächsten Winter würden sie von den rutschenden Schneemassen und Lawinen wieder erbarmungslos weggeschoben.

Um diese Jahreszeit ist der Verkehr noch recht bescheiden und der Gegenverkehr rar. Trotz allem müssen wir sehr aufpassen, denn mit dem abtauenden Schnee löst sich auch das Geröll und fällt auf die Straße. Immer wieder liegen dementsprechend kleinere und größere Steinbrocken auf dem Asphalt. Einmal mehr wird uns klar, wie sehr wir die Straßensperrungen ernst nehmen müssen und warum in vielen Abschnitten bis fast in den Sommer hinein Wintersperren eingerichtet sind. Wie gut, dass es jetzt bereits lange hell ist.

Wir genießen die karge Landschaft des baumlosen Hochgebirges und kommen bald an die engen Kuren, die uns langsam und dramatisch ins Tal nach Geiranger bringen werden. Und so führt uns diese Strecke einmal mehr innerhalb ein oder zwei Stunden vom Winter in den Frühling.

Nun sind wir vom Süden Norwegens schon zahlreiche Bergpässe gefahren und beschließen, den so heiß umworbenen Trollstigen auf unserer Wunschliste für diese Tour zu streichen, wir haben im Moment genug von kurvenreichen und engen Bergstraßen, die extrem hohe Konzentration erfordern. Allerdings ist der Trollstigen um diese Jahreszeit wahrscheinlich auch noch gar nicht geöffnet.

Dalsnibba Skywalk mit Blick auf Geiranger und Geirangerfjord

Jetzt könnten wir abbiegen, zum höchsten mit dem Auto erreichbaren Punkt in Norwegen. Denn nur wenig abseits dieser Straße befindet sich der Skywalk Geiranger auf dem Dalsnibba mit einer Höhe von 1474 Metern. Doch die Schneeverhältnisse sind aktuell noch zu unberechenbar. Wir müssten an der Djupvasshytta auf die Nibbevegen-Straße. Dann geht es sieben Kilometer bis an den Gipfel des Dalsnibba. Wir werden den Skywalk Geirangerfjord auf dem Dalsnibba bei einer unserer nächsten Touren besichtigen.

Langsam wird die Landschaft grüner. Da macht schon die nächste Sehenswürdigkeit auf sich aufmerksam. Zeit für einen Stopp. Und entdecken ein Stück Geschichte über diese Straße zum Geirangerfjord.

Knuten auf dem Weg nach Geiranger

Ein Schild mit der Aufschrift „Knuten“ führt uns auf ein Stück der alten Strecke. Der Bau der ersten Geirangerstraße begann am 29. November 1881, also mitten im Winter. Im Jahr 1889 wurde die Geirangerstraße zwischen Geiranger und Dalsnibba fertiggestellt. Wobei der Nibbelvegen mit seiner Länge von sieben Kilometern zum Gipfel des Dalsnibba erst 1930 gebaut wurde.

Um die damalige Zeit passierte der Transport über die schmalen Straßen meistens mit Pferd und Wagen. So konnte man die Straße in die Berge nicht so steil bauen, wie man es gern hätte. Um solche Anstiege flacher zu machen, hat man beispielsweise hier eine 270 Grad-Schleife errichtet. Der Knuten selbst entstand bereits 1882 unter der Leitung von Ole Knudsen Moen.

Die Idee zum Bau dieser Straße hoch zum Dalsnibba hatte ein gewisser Hans Hagerup Krag, der häufiger Gast in Geiranger war und diese Idee im Jahr 1880 äußerte. Er sah darin große Chancen, den Tourismus zu fördern. Mit dem Bau der neuen Straße, die nur wenige Meter weiter durch einen Felsen gesprengt wurde, hat man den Knuten als Sehenswürdigkeit für die Nachwelt erhalten.

Aussichtspunkt Flydalsjuvet – der perfekte Blick auf den Geirangerfjord

Noch sind wir verhältnismäßig hoch, als wir die ersten Blicke auf den Geirangerfjord erhaschen. Denn wir haben einen der schönsten Aussichtspunkte auf den Geirangerfjord entdeckt, der schon in Gemälden und alten Reisebeschreibungen fasziniert und inspiriert hat: den Aussichtspunkt Flydalsjuvet. Der Aussichtspunkt Flydalsjuvet gehörte schon zu den Lieblingsplätzen des großen Norwegen-Fans Kaiser Wilhelm II und inspiriert seit jeher viele Künstler. Leider auch Selfi-Fetischisten mit übersteigerten und teils lebensgefährlichen Hang zur Selbst-Inszenierung.

Der Aussichtspunkt besteht aus zwei modernen ebenen mit Parkmöglichkeiten auch für Reisebusse. Alleine diese zu beobachten gibt tiefe Einblicke in das lieblose Abfertigen von Landausflüglern der Kreuzfahrtschiffe. Denn in wenigen Minuten stürmen die Insassen aus dem Bus, packen ihre Selfi-Stangen in die Luft und bilden sich vor dem Geirangerfjord ab, eh sie fünf Minuten später wieder einsteigen um die nächste Sehenswürdigkeit abzuhaken. Sieht ein Urlaub in Norwegen wirklich so aus? Hat man es wirklich nötig, sich so abfertigen zu lassen?

Aber die Fotomotive des Aussichtspunktes Flydalsjuvet sind ja auch das meist gedruckte Motiv der norwegischen Tourismus- Broschüren. So verwundert der Run auf den Aussichtspunkt Flydalsjuvet wenig.

Wir empfehlen, sich für dieses wirklich schöne Fleckchen Erde ausgiebig Zeit zu nehmen und diesen einmaligen Ausblick auf den Geirangerfjord zu genießen. Das darf man sich selbst wert sein.

Die schönste Sitzgelegenheit am Geirangerfjord – Der Fjordset / Fjordsetet

Wenn ich hier die beiden Varianten  Der Fjordset und Fjordsetet schreibe, dann hat dies etwas mit der norwegischen Sprache zu tun. Hier gibt es nämlich kein Der, die, das. Statt dessen wird den Begriffen ein -en oder ein  -et angehängt.  Wie auch immer, seit dem Jahr 2003 darf am diesen wunderbaren Sessel am Fjord für einen entspannten Ausblick nutzen. Die erste, die Fjordsetet genutzt hat, war Königin Sonja bei der Enthüllung dieses Kunstwerkes. Von daher ist es schon toll, wenn die Reisebusse ihren Insassen keine Zeit zum Verweilen bieten, so hat man diesen Platz für sich.

Aber auch ein anderer Ort für die Entspannung ist sehr individuell und im Kontext zur Landschaft gestaltet. Die Architektur der Toiletten nimmt die Landschaft der Bäume und die Farben des Geirangerfjord auf. Dabei sind sie so großzügig gestaltet wie sich die Landschaft am Geirangerfjord selbst darstellt. Nach einer langen Pause steigen wir wieder in unseren VW-Bus und fahren langsam hinab in den kleinen Ort Geiranger.

Geiranger am Geirangerfjord: Geld stinkt

Geiranger ist eigentlich ein kleiner und verträumter Ort am Ende es imposanten Geirangerfjord. Normalerweise leben hier 270 Menschen. In der Hauptsaison schwillt die Einwohnerzahl auf etwa 2000 Menschen an. Geiranger lebt von der Kreuzfahrt. Aber auch von der Landwirtschaft. Wer von etwas lebt, ist in der Regel auch bereit, dafür viel Dreck zu schlucken. Das müssen sie auch.

Denn mitunter kommen am Tag bis zu fünf dieser riesigen schwimmenden sozialen Wohnungsbauten und verpesten die Luft. Ihre Maschinen laufen hier selbst im Stand und legen eine rußige Dunstwolke über den Geirangerfjord. Bis zu 200 Schiffe beehren den Geirangerfjord Jahr für Jahr.  Dabei kann der Geirangerfjord während des langes Winters noch nicht einmal befahren werden. Von den steilen Hängen stürzen immer wieder Lawinen viele hundert Meter ins Wasser, die dadurch verursachten Flutwellen könnten ein Schiff zum Kentern bringen.

Zunehmend regt sich aber Widerstand der Menschen rund um den Geirangerfjord gegen diese Massen an Menschen und die hochgiftigen Abgase. Wer wirklich Norwegen erleben und Geiranger mit seinem malerischen Geirangerfjord entdecken möchte, hat in solch einem Pulk eh keine Chance. Man habe hier nicht pauschal etwas gegen Kreuzfahrten, aber die erreichtem Dimensionen seien einfach nicht mehr zu verkraften.

Norwegen ist aktiv dabei, die Reedereien in die Schranken zu weisen und minimiert in manchen Fjorden die Einfahrten. Bald dürfen nur noch elektrisch betriebene Schiffe einfahren. Im Jahr 2019 müsste bereits die erste Reederei 72.000 EUR Bußgeld zahlen, da die Emissionen des einlaufenden Schiffes deutlich über den zulässigen Grenzwerten lag.

Wer in Norwegen standesgemäß unterwegs sein und bereits auf dem Schiff die Seele Norwegens erleben möchte, dem empfehlen wir eine Fahrt mit den Hurtigruten. Die Schiffe der Hurtigruten passen nach unserem Eindruck im Gegensatz zu den anderen Schiffen in die Landschaft und treten in ihrer Größe deutlich bescheidener und sympathischer auf. Mit ihnen oder auch mit dem kleinen Linienschiff auf dem Fjord wird eine Fahrt durch den Geirangerfjord mit seinen steilen Felswänden zum echten und unvergesslichen Erlebnis.

Geiranger am Geirangerfjord: entdecken statt abhaken

Am schönsten ist Geiranger, wenn der Trubel wieder vorbei ist. Oder, wenn er noch nicht begonnen hat. Dann zeigt Geiranger seine Seele. Die Menschen lassen den Stress abfallen, sie entspannen sich und sind, wenn man selbst offen ist, so zugänglich wie fast überall im Land.

Allerdings hat sich das sozio- kulturelle Leben weitgehend auf den Tourismus umgestellt. Und zwar derart, dass Geiranger und der Geirangerfjord durchaus Gefahr laufen, die Status des Unesco Welterbes für die Kulturlandschaft wieder zu verlieren. Ja, diese Diskussion im Umfeld der Uneseco wird tatsächlich geführt.

Und dennoch gibt es das ein oder andere historische Ensemble, welches Geiranger zu Schau stellt. Denn Geiranger kann auf eine sehr lange Geschichte zurück blicken. Die erste Kirche bekam Geiranger um 1450. Die heutige Geiranger kirke stammt allerdings aus dem Jahr 1842.

Geiranger zu erreichen, das ging früher nur über den Fjord. Im Winter, wie bereits beschrieben, konnte das sehr gefährlich sein. Aber man suchte schon im 15. Jahrhundert eine Landverbindung durch das anspruchsvolle Gebirge nach Lom und baute einen ersten Weg für Pferd und Wagen. So etablierte sich Handel mit Landprodukten wie Getreide, Teer, Leder, Jagdfalken die in Geiranger entweder selbst benötigt oder verschifft wurden. Im Gegenzug nahmen die Händler vom Ford aus Fisch, Salz, Bekleidung oder Eisen mit ins Landesinnere.

Mit dem Einzug der Dampfschifffahrt kam Bewegung an den Geirangerfjord. Im Jahr 1858 legte das erste Dampfschiff, die D/S Sunnmöre Geiranger,  in Geiranger an. Jetzt entwickelte sich der Tourismus. Die Gäste wollten nun auch an Land verpflegt werden und so öffnete im Jahr 1867 das erste Gasthaus durch dessen Inhaber Martinus K. Maråk. Es folgte dann, wie zuvor beschrieben, der aufwendige Bau der Gebirgsstraße, der Geirangerstraße. Diese ist heute so imposant wie sie sicherlich zu ihrer Gründerzeit war.

Für die Abfertigung der immer häufiger ansteuernden Dampfschiffe wurde bereits 1885 ein adäquater Hafen errichtet. Und mit den Gästen mussten auch Hotels her. So baute bereits im Jahr 1884 N.P. Veiberg das Geiranger Hotel,  im Jahr 1891 folgte das Union Hotel unter der Regie von Karl Mjelva I.

Als der Opel noch in Geiranger gebaut wurde

Der Tourismus in Geiranger am Geiranhgerfjord wurde immer besser organisiert und so entstand im Jahr 1907 der erste örtliche Tourismusverein. In der Gesellschaft Geiranger Skysslag schlossen sich örtliche Veranstalter zusammen, um ihren Gästen ein organisiertes Programm anbieten zu können. Schin drei Jahre später gab es 36 Mitglieder, die vor allem Ausflüge über die Geirangerstraße anboten. Und zwar mit Pferd und Wagen. Dazu brauchte man wiederum die entsprechende Infrastrutur. So entstand im Jahr 1907 zusätzlich zum Union Hotel durch den Unternehmer Karl Mjelva I die Geiranger Vognfabrik.

Aber wer glaubte, hier wurden Pferdekutschen gebaut, irrt. Hier entstanden Karosserien für Opel. Und schon zu dieser Zeit wusste man um den Sinn von Kleinbussen. Denn die Fahrzeuge verfügten oft über sieben bis neun Sitze. So wie unser heutiger VW-Bus. Und wer schon Karosserien mit sieben bis neun Sitzen bauen konnte, schaffte auch mehr. Zusätzlich begann ab 1913 die Produktion von Bussen. Und so war es folgerichtig, auch eine Busverbindung von Geiranger über Grotli nach Stryn einzurichten.

Mit jedem Sommer kamen immer mehr Menschen über den Geirangerfjord nach Geiranger, im Jahr 1920 legten 112 Dampfschiffe mit Touristen an. Mittlerweile waren etwa 100 Fahrzeuge damit beschäftigt, die Besucher in die nahe Umgebung zu fahren und ihnen auch die schönen Aussichten von den umliegenden Bergen aus zu ermöglichen.

Doch bisher gab es nur die Geirangerstraße in Richtung Dalsnibba. Erst 1955 baute man eine Verbindung in die entgegen gesetzte Richtung nach Eidsdal. Seit dem 14. Juni 2002 erzählt das moderne Nord Fjordsenter die Geschichte des Unesco Weltkulturerbe Geiranger und Geirangerfjord. Das Norsk Fjordsenter liegt etwa einen Kilometer außerhalb des Zentrums von Geiranger.

Die Adlerstraße am Geirangerfjord

Bis 1955 konnte man Geiranger entweder per Schiff über den Geirangerfjord erreichen oder aber mit einem Fahrzeug über den ebenso eindrucksvollen Djupvaspass. Doch dann baute man die Adlerstraße, eine der spannendsten Straßen in Norwegen.

Auf elf Serpentinen führt die Adlerstraße mit einer Länge von acht Kilometern und einer maximalen Steigung von 10 Prozent 620 Meter hinauf nach Korsmyra. Die letzte, die Adlerkurve, führt zudem zum Parkplatz am Wegesrand und damit zu einer weiteren spannenden und architektonisch faszinierenden Aussichtsplattform. Die nach der letzten Kurve benannten Aussichtsplattform Ørnesvingen (Adlerkurve) wurde am 21. Juni 2006 (Midsommer) im Rahmen des Projektes Nationale Touristenstraße feierlich eröffnet.

Von hier aus bietet sich ein atemberaubender Blick in den fast 600 Meter tiefer liegenden Geirangerfjord, den berühmten Wasserfall „Sieben Schwestern“, den Ort Geiranger und auch die beliebte Knivsflå Alm. Kajakfahrer sind aus dieser Höhe nur als kleiner Punkt erkennbar. Der Geirangerfjord zeigt sich vom Ørnesvingen, der Adlerkurve aus wie eine dramatische tiefe Schlucht.

Den Namen „Adlerstraße“ führt diese nationale Touristenstraße auf ihren Abschnitt zwischen Geiranger am Geirangerfjord und Eidsdalen am Norddalsfjord, weil in diesem Gebiet vor dem Bau der Straße Adler gebrütet haben.

Nun führt die Straße weiter durch die langsam wieder abfallende und recht gerade Straße vorbei am Eidsvatn bis nach Eidsdalen, wo uns die Fähre über den Nordddalsfjord bringt. Dort kann man sich entscheiden, ob man die kürzere Strecke weiter fährt oder den legendären Trollstigen besuchen möchte. Auf unserer Tour haben wir zunächst genug Bergpässe mit dramatischen Serpentinen gefahren, zum anderen ist Mitte Mai der Trollstigen immer noch für den Autoverkehr gesperrt. Aber wir kommen wieder. Vielleicht schon sehr bald.

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