wirklich – Wochenzeitung Flensburg von Simone Lange

Wirklich, das ist ja durchaus mal so ein Begriff es Erstaunens. Dann eher mit einem Fragezeichen versehen. So ging es mir jedenfalls, als Gunnar Astrup von der Flensburger Hofkultur mir bei einem Termin von dieser neuen Wochenzeitung für Flensburg erzählte. Umgehend habe ich mir auch eines der Exemplare bei MOMO in der Norderstraße gekauft. Aber wer bringt in der heutigen Zeit noch eine neue gedruckte Wochenzeitung auf den Markt? 

Zugegeben, ich liebe es, eine Zeitung in der Hand zu haben. Dieses unförmige Format aufzuschlagen und nachher die Seiten chaotisch wieder zusammen zu falten. Es hat so etwas pures, schlicht einfaches. Es ist so etwas wie sich sichtbar vor anderen einen Moment zu verkriechen und sich ungestört auf die Inhalte zu konzentrieren…. Umso mehr freue ich mich, dass in der durchdigitalisierten Zeit jemand die Naivität besitzt, eine neue gedruckte Zeitung mit klassischem Bezug auf den Markt zu bringen. Wir sprechen von der Flensburger Wochenzeitung wirklich.

Die ehemalige Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange steckt als Gründerin und Herausgeberin hinter wirklich. Wir vereinbaren ein Interview und versuchen herauszufinden, was hinter dieser neuen Wochenzeitung für Flensburg steckt. Wenige Tage später treffen wir uns im Büro von Simone Lange.

Moin, Frau Lange. Seit wann leben Sie bereits in Flensburg?
Seit genau 24 Jahren.  

Ist Flensburg Ihr Zuhause geworden oder könnten Sie sich vorstellen, wieder in Ihre alte Heimat zu gehen oder ganz woanders hin?
Flensburg ist mein Zuhause. Es ist neben meinem Geburtsort zur zweiten Heimat geworden. Zuvor hatte ich 18 Jahre in Thüringen gelebt. Das ist sozusagen meine erste Heimat. Hier, in Flensburg, fühle ich mich mit meiner Familie pudelwohl.
Haben Sie eine Schwäche für Analoges?
Eher für digitales.
Bezahlen Sie lieber mit Bargeld oder digital?
Lieber digital.
Eigentlich erübrigt sich die nächste Frage: Wo schätzen Sie das analoge Leben?
Nein, die Frage erübrigt sich ganz und gar nicht. Wir brauchen ein Bewusstsein für analoges Leben. Wir sprachen ja auch von der SCHWÄCHE für digitales. Nur hier im analogen Leben gibt es echte menschliche Beziehungen. Die Aufgabe besteht darin, beides zusammen zu bringen. Es wird auch immer Menschen geben, die aus irgendwelchen Gründen nur analog zurecht kommen (wollen).
Wann haben Sie zum ersten Mal davon geträumt, eine Zeitung zu machen?
Schwindende Medienvielfalt sorgt für einseitige Darstellung. Medienvielfalt ist ein wichtiger Baustein der Demokratie. Dort, wo Medien nicht mehr gelesen werden, sinkt nach wissenschaftlichen Auswertungen die Wahlbeteiligung. Bei der letzten Kommunalwahl gab es eine Wahlbeteiligung von nur 37 Prozent. Ist das nicht erschreckend? Eine eigene Zeitung, das ist mein persönlicher Beitrag zur Demoktratie.
Wann ist der Entschluss gereift, das tatsächlich jetzt zu tun? War es eine Trotzreaktion gegenüber dem (Partei-)politischen Klimbim, dem Sie ja nun entflohen sind? Ein Mittelfinger gegen etablierte Zeitungen?
Nein, den Mittelfinger zu zeigen, ist nicht meins. Es war auch kein Trotz. Aber es war schon eine Reaktion aus meinen Negativerfahrungen mit Medien. Aber nur Meckern gilt nicht, deshalb möchte ich einen konstruktiven Beitrag mit der neuen Zeitung leisten.
Wie kam es zum Namen dieser Wochenzeitung?
Ich saß im Zug und machte mir Gedanken über die Realisierung. In meinen inneren Fragen tauchte immer wieder der Begriff „wirklich“ auf. Und da kam mir der Gedanke, warum die Zeitung nicht wirklich zu nennen. Ich wollte etwas Modernes starten in einem analogen Format in der digitalen Zukunft.
Wie definieren Sie wirklich?
— nachdenkende Pause—
Anders gefragt, würden Sie hinter wirklich ein Fragezeichen, ein Ausrufezeichen oder einen Doppelpunkt setzen?
Fragezeichen auf gar keinen Fall. Ausrufezeichen auch nicht. Doppelpunkt trifft es eigentlich gut. Die Lesenden sollen die Zeitung greifen, fühlen, spüren können… Wir möchten mit wirklich eine Wochenzeitung für Flensburg sein, die Themen anstößt und hinterleuchtet, ohne dabei reißerisch zu sein.
Welchen Stellenwert haben für Sie heute inhaltlich Tages- / Wochenzeitungen? 
Tageszeitungen haben vom Konzept her kurze Texte mit den notwendigen Informationen. Eine Wochenzeitung geht tiefer in die Inhalte. Man hat die ganze Woche Zeit, diese Artikel zu lesen. Zeitungen sind ein elementares Standbein der Demokratie.

Wie stehen Sie zum Öffentlich-Rechtlichen Medium?
Ich finde sie wichtig. Besonders höre ich die Beiträgen des Deutschlandfunk. Wir haben selbst zuhause keinen Fernseher. Wir schauen nur ausgewählte Filme als Familie zusammen. Zusätzlich lese ich gern unterschiedliche Zeitungen.

Wie war das Gefühl, zum ersten Mal eine eigene Zeitung in den Händen zu haben? Haben Sie neben der Druckmaschine bei Flensborg Avis gestanden und ungeduldig gewartet, das erste Exemplar zu fühlen?
Das war etwas ganz Besonderes. Wir waren im Team alle sehr stolz, zum ersten Mal eine eigene Zeitung realisiert zu haben. Aber selbst nach der 18. Ausgabe ist dieses Gefühl wie am ersten Tag und es wird, glaube ich, auch so bleiben. Wir ständig in der Entwicklung und probieren noch immer viel aus.
Wenn Sie träumen, wohin entwickelt sich die Wochenzeitung wirklich?
Ich hoffe, wirklich etabliert sich als fester Bestandteil einer Kommunal-, Lokalzeitung am liebsten auch weiterhin als Print. Ich hoffe sehr, dass die Druckereien bestehen bleiben.
Welchen Schwerpunkt hat wirklich und welche Lücke wollen Sie ausfüllen? 
Die Lücke, welche die etablierten Blätter hinterlassen. Weil sehr viel Wert auf klick-basierte Veröffentlichungen gelegt wird und weniger rentable Themen hinten über fallen. Aber seit dem es die Wochenzeitung wirklich am Markt gibt, scheinen die anderen Zeitungen sich diesen Themen wieder mehr anzunehmen. Und das ist auch gut so.
Was ist in Ihren Augen das wichtigsten Fragewort?
—überlegt— Als Kriminalistin habe ich gelernt, dass es sieben wichtige Fragewörter gibt. Aber welches das wichtigste ist?…. Wohin- würde ich sagen. Ich möchte immer herausfinden, wohin etwas führt.
An wen richtet sich wirklich?
wirklich soll eine Zeitung für alle sein. So gibt es zum Beispiel die Campus-Seiten für die Studierenden, die Kulturseiten, die Kinderseiten. Wir stellen immer wieder Flensburger Politikerinnen und Politiker vor, damit man sie kennen lernt und einen Bezug zur eigenen Politik bekommt. 
Es liegt ja in der Zeit, dass wir Überschriften mit Inhalten gleichsetzen. Dass wir Bilder in Bruchteilen von Sekunden konsumieren ohne sie wahrzunehmen. Dass wir von einer Sehenswürdigkeit zur anderen hetzten und kaum noch erinnern, wo wir gewesen sind, eine Zeit, wo Songs nur noch Sekunden lang sind. Demnach erscheint selbst die Bildzeitung heute fast intellektuell. Wie wollen Sie es schaffen, dass man sich wieder Zeit für den Inhalt nimmt?
Unser Konzept ist mit wirklich ja eine Wochenzeitung herauszugeben. Sie erscheint immer Freitags. Dann hat man das ganze Wochenende über Zeit, die Artikel zu lesen. Wir haben uns vor kurzem eine der ersten Ausgaben angeschaut. Und wissen Sie was? Die Themen sind immer noch aktuell.
Wie gehen Sie damit um, dass nun Dinge in wirklich aufgearbeitet werden, die eigentlich auch im Verantwortungsbereich Ihrer Amtszeit lagen? 
Mutig, selbstkritisch, offen. Mir ist das bewusst und damit muss ich auch leben. Jeder, der Entscheidungen trifft, wird auch Fehler machen. Und es wäre vermessen zu behaupten, ich hätte alles richtig gemacht. 
Was halten Sie davon, dass ja ohne demokratisch legitimierten Konsens die Gendersprache Einzug in die Medien hält und wie halten Sie es selbst und warum? 
Wir sprachen ja vor dem Interview über eine gewissen Empörungskultur. Wenn wir uns in Zusammenhang mit der Gendersprache empören, werden wir dem eigentlichen Anliegen der Gleichstellung nicht gerecht. Wir haben das Thema Gendersprache ausführlich diskutiert. Und haben uns für ein barrierefreies Lesen entschieden, welches beiden Seiten gerecht wird. 
 
Wir möchten auch sprachlich die Gleichstellung. Schreiben dann aber lieber längere Sätze wie Lehrer und Lehrerinnen oder bleiben sprachlich neutral wie z.B. Studierende. Vor allem Kinder können mit dem Doppelpunkt oder Schrägstrich nichts anfangen. 
 
Welchen Stellenwert haben in Ihren Augen soziale Medien und welchen Sinn machen diese wirklich? 
Soziale Medien haben eine hohe Akzeptanz. Hier tummeln sich eben viele Menschen. Wir sind in den sozialen Medien auch vertreten und werben dort für unsere Zeitung.
In welchen Stadtteilen wird wirklich verkauft?
Verkauft wird unsere Zeitung in allen Stadtteilen und wir werden auch in allen Stadtteilen gut angenommen. In Flensburg-Weiche könnte sich noch mehr entwickeln.
Die gängigen Medien leiden heute unter Vertrauensverlust, obwohl sie ihre Veröffentlichungen belegen können. Sogenannte alternative Medien, die mit einer bewussten Mischung aus Wahrheit und Lüge hantieren, haben dagegen Vertrauensgewinn? Sehen Sie eine Chance, diese Entwicklung umzukehren und haben Sie dies für sich selbst und im Team thematisiert?
Ich denke, das ist unsere Aufgabe. Aufgabe aber von jedem Einzelnen. Die Bildzeitung, um ein Beispiel zu nennen, hat in meinen Augen ihren großen Anteil an der heutigen Wahrnehmung der Medien. 
Welches Projekt in Flensburg liegt Ihnen besonders am Herzen und warum?
Mir liegt die Infrastruktur der Bildung für unsere jüngste Generation sehr am Herzen. Dazu gehören auch die notwendigen Schulneubauten.
 
Träumen Sie sich manchmal in die 13.te Etage des Flensburger Rathaus zurück?
Mein Büro lag in der zehnten Etage.  Und ja, ich vermisse meinen Job als Oberbürgermeisterin. Ich war es gerne und hätte die letzte Wahl auch gerne gewonnen.
Was sollten wir in Flensburg, also im eigenen überschaubaren Kosmos tun, um die Demokratie zu erhalten und wo sehen Sie im täglichen Umgang in unserem kleinen Kosmos die Demokratie gefährdet?
Zeitung kaufen. Zeitung lesen. Wahlbeteiligung und Zeitung lesen stehen in direktem Zusammenhang.

Was stört Sie an Flensburg? / Wo würden Sie sich konkret Veränderung wünschen?
Was stört mich…. Flensburg verharrt gerne.  Ich wünsche mir aber für Flensburg Veränderung und Entwicklung. Eine positivere Einstellung zu Entwicklungspotentialen. Oft wird Neues schlecht geredet- ja, ich glaub, das trifft es, was mich an Flensburg stört.

Was mögen sie an Flensburg?
Flensburg hat eine einmalig schöne Lage. Man kommt zu Fuß überall hin. Es hat eine schöne Struktur. Flensburg hat den Flair einer Kleinstadt und hat doch etwas von Großstadt. Ich liebe Großstädte. Und ich liebe Flensburg.

Wo in Flensburg kann man die Wochenzeitung wirklich kaufen?
Eigentlich überall, wo es Zeitungen gibt. So sollte es jedenfalls sein. Auch der Zeitungsgroßhandel ist in der Veränderungsphase. Da klappt das von deren Seite nicht immer so, wie es soll. Aber am besten ein ABO, dann hat man mit dem E-Paper auch Zugriff auf alle zurückliegenden Artikel. Auch wir sind mitten in der Entwicklung und erweitern gerade unseren Umfang.

Vielen Dank, Simone Lange. Und allen erdenklich guten Erfolg für Ihre Zeitung.

Informationen zur Wochenzeitung auf der offiziellen Homepage wirklichverlag.de
 
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