Ich kann mich noch daran erinnern, im ersten Schuljahr Memory gespielt zu haben. Lübeck kannte ich nicht, dazu lebte ich zu weit im Süden. Aber auf den Spielkarten war genau dieses urige, märchenhafte und unwirklich Gebäude abgebildet, das Holstentor. Kaum zu glauben, dass es dieses Bauwerk in der Realität gibt.

Da erstaunt es nicht, dass heute Scharen hier her pilgern, um es mindestens von außen zu fotografieren oder die Möglichkeit wahrnehmen, es auch im Inneren zu besichtigen. Mittlerweile habe ich selbst kurze Zeit in Lübeck gelebt, besuche die Stadt regelmäßig und verpasse es nie, zumindest einen kurzen, faszinierenden Blick auf dieses mittelalterliche Gebilde zu werfen.

Das Lübecker Holstentor muss sich nicht verstecken. Wer an berühmte deutsche Baudenkmäler denkt, wird dieses Bauwerk mit Sicherheit in einem Atemzug mit dem Brandenburger Tor, dem Kölner Dom oder Schloß Schwanstein nennen. Aus aller Welt strömen jedes Jahr Millionen von Menschen aus der ganzen Welt nach Lübeck und machen andächtig Halt am Wahrzeichen dieser Stadt.

Was für ein Glück, dass es noch da ist. Denn, eigentlich sollte es längst abgerissen sein. Ja, richtig gehört: es stand im Weg. Das war im 19. Jahrhundert, als es hintereinander noch vier Holstentore gab. Sie waren sozusagen die Bunker der reichen Kaufleute und boten im Ernstfall Schutz vor eindringenden Feinden. Das brauchte man natürlich im 19. Jahrhundert nicht mehr, vielmehr begann die industrielle Revolution und damit einhergehend wurden überall Bahnhöfe und Schienenwege gebaut,  Lübeck musste als eine der wichtigsten Hafenstädte unbedingt an das junge Gleisnetz angeschlossen werden. Dabei war die Hansestadt mittlerweile ziemlich herunter gekommen und rückständig.

Dort, wo die vier Tore standen, sollte also der Bahnhof hin für eine zeitgemäße Anbindung an Hamburg. Das war im Jahr 1850. Man riss drei der mittlerweile verfallenden Bauten ab und niemand störte sich daran. Dann war das letzte, vormals mittlere, Tor an der Reihe- das Holstentor. Erst jetzt wurde das Holstentor in seiner vollen Pracht sichtbar, war es doch zuvor von den anderen Toren verdeckt.

Die Menschen schraken auf, realisierten erst jetzt, was gerade passierte und gründeten eilig eine Initiative.Sie kämpfte und warb eindringlich für den Erhalt des völlig maroden Holstentores. Einer der glühendsten Befürworter für den Erhalt des Holstentores war der berühmte Kaufmann Buddenbrook. Denn die Befürworter sahen in diesem Monument ein Symbol für hanseatische Würde und Stärke, während den Modernisierern der Stadt das Tor für die Verkehrsentwicklung nur im Weg stand.

Gutachten und Kostenschätzungen wurden eingeholt. Namhafte Lübecker wie Georg Blohm, dem Gründer von Blohm und Voss, Senator Curtius oder Senator Plessing sammelten neben den Buddenbrooks Geld für die Sanierung. Denn damit konnten sie eines der Hauptargumente der Abrissbefürworter entkräften, nämlich den Abriss aufgrund zu hoher Sanierungskosten. Selbst der König von Preußen, ein großer Fan dieses Bauwerkes beteiligte sich an der Sammlung. Auch viele Menschen außerhalb Lübecks brachten mit ihrer Gabe ihre Verbundenheit zu dieser Hansestadt zum Ausdruck. Unvorstellbar hoch war die Spendenbereitschaft, es kamen auf diese Weise etwa 75 Prozent der Sanierungskosten zusammen. 

Im Jahr 1863 stand die mit Spannung erwartete Abstimmung in der Bürgerschaft an. Mit nur einer Stimme Mehrheit entschied sich die Lübecker Bürgerschaft für die umgehende Sanierung des Holstentores. Nach Beendigung der Instantsetzung erstrahlte das Gebäude während der offiziellen Feier in neuem Glanz und zunehmend wurde den Lübeckern bewusst, was für ein tolles Bauwerk sie fast verloren hätten. Fortan entwickelte sich das Holstentor zu einem der beliebtesten und weltweit bekanntesten Wahrzeichens Deutschlands.

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Kommentar

  • Spannend ist das! Umso erstaunlicher, dass ich mir das Holstentor noch nie von Innen angesehen habe. Lübeck steht sowieso sowas von auf meiner Liste. Vielen Dank für den Einblick und liebe Grüße, Stefanie

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