Schöne Aussichten am Aurlandsford – Stegastein im Aurlansfjell

Norwegen zieht mit einem architektonisch aufregenden Konzept Menschen in Regionen, in denen man sich ohne weiteres nicht hin verirrt. Alleine die Straßen dorthin sind für Menschen aus dem Flachland wie uns mehr als eine Herausforderung. Aber müssen möchten wir diese Eindrücke nicht. Die größte Berühmtheit am Aurlandsfjord ist sicherlich die historische Flåmbahn (Flåmbanen). Sobald aber hier ein Kreuzfahrtschiff liegt, verwandelt sich der kleine Ort Flåm zu einer unerträglichen Touristenhölle. Unvorstellbar, dass hier in der Vergangenheit fünf der gigantischen schwimmenden Sozialwohnungen parkten. Wir jedenfalls sind förmlich geflohen und haben den aufregenden Stegastein für uns entdeckt und von hier aus zugeschaut, wie tief unten im Fjord das letzte schwimmende Touristengetto des Tages den Aurlandsfjord verlässt.

Hoch hinaus erfordert gute Balance

Es ist immer ein Zwiespalt, dem man sich umso mehr stellen muss, je mobiler die Welt wird. Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle gerade für Menschen in Regionen, die sonst verarmen. Aber durch die heutige Art der unkontrollierten Vermarktung sind Touristenströme unkontrollierbar. Wo es Geld zu verdienen gibt, da gerät schnell die Balance aus den Fugen.

Das bemerkt man sehr schnell in Flåm mit seiner wirklich einzigartigen Flåmbahn. Wer Norwegen wirklich entdecken möchte, dem empfehlen wir Orte, die nicht exzessiv beworben werden und die möglichst nicht den Unesco-Welterbe-Status haben. Ich weiß, der norwegische Tourismus wird mich für solche Meinung nicht lieben, aber wir sollten bewahren, was wir lieben.

Ein architektonisches Symbol für den touristischen Höhenflug ist sicherlich der Stegastein im Aurlandsfjell. Ursprünglich führte durch das einsame Aurlandsfjell eine einfache Baustraße. Bis Ende Mai ist das Aurlandsfjell durch seine enormen Schneemassen gar nicht passierbar. Da nutzt uns auch kein Allrad der Welt und auch keine norwegische Wintererfahrung, wie wir sie nun wirklich haben. Hier, im Aurlansfjell, liegt der Schnee selbst Ende Mai noch einige Meter hoch. Das hat der Baustraße durch das Aurlandsfjell auch den Namen „Schneestraße“ eingebracht.

Von Aurlandsvangen zum Stegastein im Aurlandsfjell

Seit 1967 führt die „Schneestraße“ durch das Aurlandsfjell und damit durch eine wirklich unberührte und einsame Hochgebirgs-Idylle zwischen Lærdalsøyri (Lærdal) und Aurlandsvangen am Aurlandsfjord. Heute ist die ehemalige Baustraße zwar schmal, aber gut ausgebaut. An ihrem höchsten Punkt liegt die Schneestraße 1306 Meter über dem Meeresspiegel.

Ziemlich genau auf halber Höhe hat man mit dem Ausbau der Schneestraße durch das Aurlandsfjell zur offiziellen Touristenstraße diese um eine beeindruckende Aussichtsplattform bereichert. Mit 650 Meter über dem Aurlandsfjord schwebt man förmlich über der Fjordlandschaft, weit ab vom Trubel im Tal. Eine schräge Glaswand am Ende der 30 Meter hohen Holzkonstruktion bietet einen einzigartigen Blick hinunter in den Aurlandsfjord. Das Wasser leuchtet wie ein Smaragd und die Landschaft ist vergleichbar ja auch ein wertvolles und besonderes Juwel.

Der Aurlandsfjord – ein ganz besonderes Juwel

Wir haben uns zwei Tage auf dem Campingplatz in Aurlandvangen eingerichtet und nähern uns langsam dieser kostbaren Umgebung. Oft schauen wir hoch zum Aurlandsfjell und können es kaum erwarten, aufzubrechen. Norwegen hat die Einzigartigkeit dieser Landschaft erkannt und fürs erste reagiert. Liefen bis vor kurzem noch bis zu fünf der überdimensionierten Kreuzfahrtschiffe in den Aurlandsfjord ein, die ihre Mitverantwortung zum gerade in Norwegen schon sichtbaren Klimawandel haben, dürfen heute nur noch maximal zwei solche Schiffe einfahren. Bald dürfen nur noch Schiffe ohne Abgase einlaufen.

Viele der Kreuzfahrtschiffe bieten natürlich auch einen Ausflug zum Stegastein an. Die Fahrt führt durch die schmalen Straßen von Aurlandsvangen und schraubt sich über enge Serpentinen schnell hoch auf 650 Meter. Wohl dem, der keinen Gegenverkehr hat. Und wehe dem, dessen Bremsen bei der Abfahrt nicht mehr funktionieren. Wohl dem, der auf dieser nicht durch Leitplanken gesicherten Strecke sein Wohnmobil beherrscht. Die Anwohner dieser Strecke hoch ins Aurlandsfjell beobachten den sommerlichen Trubel mit den zahlreichen Reisebussen und Wohnmobilen durchaus mit Skepsis, wenngleich einige von ihnen auch durch Übernachtungen in der kurzen Saison an der Kreuzfahrt ein wenig verdienen.

Stegastein im Gleichgewicht

Ja, ich habe durchaus eine Schwäche für schöne Schiffe wie beispielsweise die Hurtigruten. Wenn, so finde ich, sollte man Norwegen ja mit dem Original bereisen und das sind nun einmal die Postschiffe. Und ich habe tiefen Respekt vor den Architekten, Straßenbauern und Landschaftsgestaltern wie hier bei den Baumeistern und Arbeitern, die für uns diese Aussichtsplattform, den Stegastein, geschaffen haben.

In diesem Fall stehen die Architekten Todd Saunders und Tommie Wilhelmsen für die Idee und Realisierung des Stegastein im Jahr 2006. Schon immer galt der Stegastein als ein besonderer Aussichtspunkt auf den Aurlandsfjord. Diesen bis dahin touristisch nicht erschlossenen Ort wollten die Architekten nun ganz offiziell dezent spektakulär bekannt machen. Dazu skizzierten sie diese schwebende und ihrem Ausdruck leichte Holz-Stahl-Beton-Konstruktion mit einer Laufsteg-Breite von vier Metern.

Im Kontrast zu dieser schwebenden Plattform setzten sie gleich daneben eine formell schlichte Toilettenanlage aus schwarz gefärbten Beton und Holz , die gestalterisch einen festen und unverrückbaren Platz in dieser Landschaft hat. Dabei kann man aus den direkt am Abgrund aufgestellten Gebäude ganz entspannt in die Landschaft schauen, ohne dass es eine Möglichkeit gibt, beobachtet zu werden.

So wie sich die Architekten Gedanken über diese Landschaft und deren Gestaltung gemacht haben, bin ich selbst eingeladen, mir Gedanken zu machen, dieser Umgebung des Aurlandsfjord am Stegastein würdig zu begegnen. Und dann erst werde ich bleiben, diese Architektur und die Landschaft auf meine Seele wirken zu lassen. Der Ort, hier am Stegastein ist doch viel zu schade, auf der Ausflugsliste abgestrichen zu werden, für Selbstportraits im Akkord her halten zu müssen.

Das Aurlandsfjell, der Aurlandsfjord und der Stegastein mit ihren Menschen, sie haben es nicht weniger verdient, dass man einen Moment bleibt, fühlt, sieht. Und denkt. Alles andere wäre doch auch respektlos dem Ort gegenüber, sich selbst gegenüber. Lasst uns anfangen, die Welt wieder zu entdecken. Und beginnen wir hier am Stegastein, schauen auf den Aurlandsfjord. Und lassen die Kreuzfahrer einfach ziehen. Ob deren Reisende in Gedanken immer noch am Stegastein sind?

P.S.

Wie denn jetzt richtig: Aurlandsfjord oder Aurlandsfjorden, Aurlandsfjell oder Aurlandsfjellet?
Die Skandinavier haben eine Besonderheit in ihrer Sprache. Sie hängen den Artikel direkt an das Hauptwort. Was bei uns für der, die, dass steht, hängen sie als Endung mit -en oder -et hinten an. So wird aus der Aurlandsfjord im norwegischen Aurlandsfjorden.

 

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